Stiftung für hochbegabte Kinder

Accesskeys

A

Abklärung

Im Bezug auf Hochbegabung wird der Fragestellung nachgegangen, ob ein Kind überdurchschnittlich begabt ist. Eine umfassende Begabungsabklärung achtet darauf, dass nicht lediglich die intellektuelle Fähigkeiten (IQ) erfasst werden, sondern Potenziale und Leistungen in allen Begabungs- und Bildungsbereichen, sowie die Einstellungen und Haltungen zur Leistung mit einbezogen werden. Da die Forschung zeigt, dass Lehrpersonen Begabungen oft nicht erkennen, verfügen zahlreiche Schulen über speziell ausgebildete Fachpersonen. Dies sind Lehrpersonen oder schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, die in der pädagogischen Spezialfunktion zur Identifikation von (Hoch-) Begabten zusätzlich ausgebildet sind (CAS, MAS Begabungsförderung). Diese Fachpersonen unterstützen Lehrpersonen und Schulleitungen bei der Identifizierung von besonderen (auch verdeckten) Begabungen bei Schülerinnen und Schülern oder leiten die Abklärungsprozesse. In speziellen Fällen (bei Verdacht auf Minderleistung oder beim Verdacht auf Fehlentwicklungen der Begabungsentfaltung) erfolgt die vertiefte Abklärung der psychologischen Hintergründe durch den Schulpsychologen. In Kantonen, in denen durch die Gesetzgebung nach wie vor ein bestimmter IQ als Kriterium für den Zugang zu spezifischen Fördermassnahmen verlangt wird, liegt die Abklärung ebenso beim Schulpsychologen oder bei den MAS IBB mit anerkannten Zusatzqualifikation zur Begabungsabklärung. 

Adaptives Lernen

Adaptives Lernen bezeichnet die Anpassung der Wissensvermittlung an den Wissensstand, die Lernpräferenzen und die Möglichkeiten der Lernenden, damit einen ihren Fähigkeiten entsprechenden optimalen Lernerfolg bewirkt werden kann. Dabei werden die unterschiedlichen individuellen Begabungspotenziale, Voraussetzungen und Lernbedingungen der Lernenden berücksichtigt. Dies umfasst einerseits die Differenzierung von Aufgaben und die dynamische Anpassung der Lernprozesse an den jeweiligen Lernfortschritt.

ADS bzw. ADHS

Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) oder das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ist gemäss dem internationalen Klassifikationssystem DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013)  durch drei Kernsymptome der Unaufmerksamkeit, Impulsivität und der Hyperaktivität gekennzeichnet. Die Symptome m¨ssen sich auf mindestens zwei Lebensbereiche (z.B. Schule und Familie) duetlich beeinträchtigend auswirken und zudem vor dem 7. Lebensjahr auftreten. Das DSM-5 unterscheidet drei Subtypen: Den überwiegend unaufmerksamen Typus (ADS), den überwiegend hyperaktiv-impulsiven Typus sowie den kombinierten Typus (ADHS). Die Symptomatik verändert sich häufig über die Lebensspanne: Kinder im Vorschulalter zeigen häufig das hyperaktiv-impulsive Verhalten, während im Teenageralter bis ins Erwachsenenalter die Aufmerksamkeitsdefizite im Vordergrund stehen.Mit einer Häufigkeit von 5% stellt die ADHS eine weit verbreitete Entwicklungsstörung im Kindes- und Jugendalter dar.

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Hochbegabung und ADHS

Hochbegabung und ADHS sind zwei unterschiedliche Diagnosen, die auf den ersten Blick ein sehr ähnliches Erscheinungsbild haben, sich jedoch, was die Ursache der Symptome betrifft, stark unterscheiden. Eine genaue Diagnostik ist entscheidend für die optimale Förderung und Unterstützung von Betroffenen im Alltag.

Die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von ADHS und der Hochbegabung ist noch wenig erforscht. In vereinzelten Studien sprechen die Ergebnisse dafür, dass die Verteilung der Hochbegabung bei Kindern mit ADHS etwa ähnlich hoch ist wie in der Normalbevölkerung, nämlich ca. 2%. Wenn jemand hochbegabt ist, bringt dies also keine erhöhte Neigung zu ADHS mit sich, schliesst sie aber auch nicht mit Sicherheit aus. 

Gyseler, D. (2021). Hochbegabung und ADHS. In: Müller-Oppliger, V. & Weigand, G. (Hrsg.).  Handbuch Begabung. Beltz-Verlag. 

Weitere Informationen: 

Akzeleration

Akzeleration bezeichnet eine Gruppe von schulischen Interventionen, durch die kognitiv besonders begabte SchülerInnen gefördert werden sollen. Eine solche Intervention kann z.B. das Überspringen einer Klassenstufe sein (klassenstufenbezogene Akzeleration) oder das Überspringen von Lerneinheiten innerhalb eines Schuljahres, welche ein/e SchülerIn schneller als der Rest der Klasse absolviert. Eine Akzelerationsmassnahme soll bewirken, dass ein/e SchülerIn so platziert wird, dass die Anforderungen des Unterrichts besser auf seine/ihre Lern- und Leistungsmöglichkeiten abgestimmt ist. Zudem schaffen Akzelerationsmassnahmen Möglichkeiten zum Lernen mit Älteren und Zeiträume für vertieftes Lernen oder der Beschäftigung mit anderen Lerninhalten.

Vock, M. (2021). Akzeleration - schneller durch die Schule? In: Oppliger, V. & Weigand, G. (Hrsg.). Handbuch Begabung. Beltz-Verlag. 

 

Altersdurchmischtes Lernen (AdL)

Anstelle von Jahrgangsklassen werden altersdurchmischte Abteilungen/Klassen/Gruppen geführt. Die individuelle Förderung von unterschiedlichen Begabungen und Entwicklungsstadien kann dadurch organisatorisch unterstützt werden. Die Jüngeren lernen von den Älteren und umgekehrt, Lernen geschieht zyklisch. Eigenverantwortliches und eigenständiges Lernen wird gezielt gefördert und geübt.

Atelierbetrieb

Der Atelierbetrieb ist eine Form von Enrichment (Anreicherung über den Klassenunterricht hinaus). Schülerinnen und Schüler können während bestimmten Zeitfenstern zwischen unterschiedlichen Angeboten aus Kursen wählen – meist zusätzlich zu den regulären Schulfächern – und ihren eigenen Stundenplan nach persönlichen Interessen und Fähigkeiten mitgestalten. Im Vordergrund stehen interessengeleitetes und eigenständiges Arbeiten sowie die Möglichkeit zur Öffnung der Horizonte über die traditionellen Schulfächer hinaus.

B

Begabte

Als «begabt» werden in der Regel Personen bezeichnet, die sich im Vergleich mit Gleichaltrigen durch eine höhere Leistungsfähigkeit und ein grösseres Förderpotenzial auszeichnen. Dazu zeigen Begabte meist weitere nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale in hoher Ausprägung, die für die Entwicklung ihres Leistungspotenzials förderlich sind. Dies sind u. a. eine hohe Leistungsmotivation, günstige Arbeits- und Lernstrategien sowie ein positives Selbstkonzept. Damit eine Begabung sich ausprägen kann, müssen verschiedene Faktoren zusammenspielen. So unterstützen eine förderliche familiäre und soziale Lernumwelt und eine auf positive Resonanz und die Förderung von Begabungspotenzialen ausgerichtete Schule die Begabungsentwicklung.

Begabtenförderung

Der Begriff Begabtenförderung umschreibt Massnahmen zur Förderung von Kindern und jungen Menschen mit überdurchschnittlichen Leistungspotenzialen. Diese Massnahmen gehen oft über den normativen Regelunterricht hinaus. Dabei umfasst Begabtenförderung alle Bildungsdomänen; die schulischen kognitiven Fächer, aber auch Begabungsdomänen, die im schulischen Unterricht oft nur eine untergeordnete Rolle spielen (z. B. körperlich-sportliche, künstlerisch-gestaltende, musikalische, soziale Begabungen) oder Interessengebiete, die ausserhalb der schulischen Lehrpläne liegen.

Beispiele zur Begabtenförderung sind:

  • Compacting des Basislehrplans zur Straffung nicht benötigter Trainings- und Übungszeit
  • Unterrichtsergänzendes Enrichment und Pull-out-Programme zur individuellen Förderung spezifischer Begabungen in individuellen Projekten
  • Akzelerationsmassnahmen wie z.B. Überspringen von Lerneinheiten oder Zulassung zu höheren Leistungskursen, Klassen oder zur vorzeitigen Hochschulbelegung im Interessensgebiet
  • Mentoring als individuelle Förderung durch eine qualifizierte Fachperson
  • Ergänzende ausserschulische Förderaktivitäten (Vereine, Angebote, Wettbewerbe, Camps usw.).

Begabung

Im Alltagsgebrauch wird der Begriff «Begabung» als vorhandene Fähigkeiten verstanden. Häufig verbindet sich mit der Begabungszuschreibung zugleich auch ein Verständnis des Besonderen. Ein durchschnittlicher Klavierspieler wird in der Regel nicht als «begabt» beschrieben. Die Zuschreibung einer Begabung verweist daher auf ein überdurchschnittliches Potenzial, das gefördert werden könnte/sollte (Begabungsförderung). Weil der Begriff in der Alltagessprache oft unspezifisch verwendet wird, empfiehlt sich die Unterscheidung in vorhandene «Begabungspotenziale» der Person und in die in Bildungs- und Lernprozessen realisierte oft so bezeichnete (Hoch-)Begabung als «Hochleistung». Aktuelle und mehrdimensionale Begabungsmodelle umfassen neben intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten auch künstlerisch-kreative, technisch-praktische, körperlich-sportliche und sozial-emotionale Fähigkeiten.

Begabungsförderung

Der Auftrag zur Begabungsförderung in Bildung und Erziehung ist Ausdruck eines bildungsdemokratischen Lehr-Lern-Verständnisses, das alle Schülerinnen und Schüler ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend optimal fördern will. Dieses Bildungsversprechen rückt das Individuum mit seinem persönlichen Bildungspotenzial, seinem (vorläufigen) Wissen und Können und seinen spezifischen Lernfähigkeiten, Interessen und Motiven ins Zentrum. Schule und Unterricht wollen den jeweiligen Bildungs- und Entwicklungsvoraussetzungen aller Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Dies erfordert von Lehrpersonen, sich an den Lern- und Leistungspotenzialen der Lernenden zu orientieren und Lernmaterial, -medien und -methoden entsprechend differenziert zu gestalten und einzusetzen.

Begabungsmodelle

Unterschiedliche Begabungsmodelle versuchen die Bedingungen der (Hoch-)Begabung strukturell und prozessual auszuweisen. Gängige Modelle sind das grundlegende systemische «Drei-Ringe-Modell» nach Renzulli (1978), das davon abgeleitete «Triadische Modell» von Mönks (1990), das «Talentmodell» von Gagné (1993) sowie das «Münchner Hochbegabungsmodell» nach Heller, Hany und Perleth (1994).

Neuere Modelle sind das «Aktiotop-Modell» nach Ziegler (2005/09), das die soziokulturellen Bedingungen in den Vordergrund rückt, das «Integrative Begabungsmodell» von Fischer (2006) zum Entwicklungsprozess sowie das «Ökologische Begabungsmodell» (Müller-Oppliger 2009/14), das als pädagogisches Modell auf die personale Entwicklung von Begabungen in Lernprozessen und deren didaktische Umsetzung fokussiert.

Bezugsnorm

Leistungsbeurteilung erfolgt immer im Vergleich zu einem Bezugssystem. Es existieren unterschiedliche Bezugssysteme.

  • Soziale Bezugsnorm:           
    Vergleich der Leistungen einer Schülerin/eines Schülers mit den Leistungen anderer Schülerinnen und Schüler (z. B. innerhalb der Klasse, Peer-Normen)
  • Formative oder individuelle Bezugsnorm:
    Vergleich der aktuellen Leistung eines Schülers/einer Schülerin mit eigenen früheren Leistungen; Beurteilung des Lernzuwachses resp. der Potenzialrealisierung
  • Kriteriale oder Sach-Bezugsnorm:
    Vergleich der Leistungen einer Schülerin/eines Schülers mit festgelegten Kompetenzen, Qualitätsanforderungen oder Kriterien

C

Compacting

Unter Curriculum Compacting versteht man die Straffung und Intensivierung des Basislehrplans nach individuellen Fähigkeiten. Wenn Lernende etwas schon beherrschen, kann die unnötige Übungszeit entweder zur ergänzenden Vertiefung des Themas oder für alternative Lerninhalte (persönliche Projekte, Enrichmentangebote o.Ä.) eingesetzt werden. Compacting erhöht die individuelle Herausforderung innerhalb des regulären Unterrichts und vermeidet sogenannte «Wartezeiten», bis die Mitschüler und Mitschülerinnen die Klassenlernziele erreichen. Selbstorganisiertes Lernen mit Lernkontrollen, die zu unterschiedlichen Zeiten (ggf. auch mehrfach) durchgeführt werden können und Lernen mit erweiterten Lernformen mit Teil-Kompetenznachweisen eignen sich didaktisch zur Lehrplanstraffung ebenso wie Vor- oder Zwischentests, in denen die Lernenden zeigen, dass sie einen Inhalt bereits beherrschen.

 

D

Deckeneffekt

Gängige Intelligenztests liefern die genauesten Ergebnisse im durchschnittlichen Intelligenzbereich. Je weiter ein Intelligenzwert vom Durchschnitt (IQ = 100) entfernt ist, desto geringer wird dessen Aussagekraft und Messgenauigkeit, da der Testwert nur noch mit sehr wenigen Vergleichswerten in Beziehung gesetzt werden kann. Dazu kommt, dass Intelligenztests, die für die Gesamtbevölkerung entwickelt wurden, häufig zu wenige shwierige Aufgaben enthalten, so dass extrem hohe Testwerte gar nicht mglich sind. Dementsprechend stossen kognitiv Hochbegabte bei diesen Tests an eine "künstliche Decke", ohne dass sie ihr Potenzial richtig zeigen konnten. Deshalb wird der Effekt "Deckeneffekt" genannt. 

Gauck, L. & Reimann, G. (2021). Psychologische Diagnostik in der Begabungs- und Begabtenförderung. In: Oppliger, V. & Weigand, G. (Hrsg.). Handbuch Begabung. Beltz-Verlag.

Dialogisches Lernen

Dialogisches Lernen setzt sich ab vom tradierten Belehrungsmodell, in dem Wissende die Unwissenden instruieren. Auch im dialogischen Lernen entsteht gewissermassen ein Wissensgefell zwischen Lernenden und Lehrenden. Dennoch wird Wert darauf gelegt, dass sich Lehrende und Lernende im Lerndialog auf Augenhöhe begegnen. Sie formulieren dabei ihre Positionen und dahinterliegenden Begründungen. Im Gespräch stellen Lernende ihr Verständnis der Lerninhalte vor. Im anschliessenden Dialog werden Missinterpretationen und Fehler vom Lehrenden entdeckt, diskutiert und Sachinhalte geklärt (Co-Konstruktion). Der Lerndialog ermöglicht Lernenden und Lehrenden Einsichten in die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler sowie Verstehen und Respekt vor den beidseitigen Zugangsweisen. Dialogisches Lernen orientiert sich an den Prinzipien der Subjektorientierung (des/der Lernenden und dessen/deren Verstehens), der Inhaltsorientierung (Klärung der Sache im Gespräch) und der Prozessorientierung (gemeinsamer Lernweg). Lerndialoge sind ein grundlegendes Element im Lernen mit Portfolios und Lernjournalen.

Differenzierung

Differenzierung ist bestrebt, eine den individuell unterschiedlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler entsprechende Lernsituation zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, erfolgt Differenzierung auf zwei Ebenen:

  • Als innere Differenzierung (Binnendifferenzierung) wird die Anpassung des Lehrplans, der Lernziele und Lernmethoden an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Fähigkeiten und Interessen innerhalb heterogener Lerngruppen/Klassen bezeichnet. Die klassenintegrative Begabungsförderung, in der unterschiedlich begabte Lernende miteinander und voneinander lernen, ist ein Anliegen innerer Differenzierung. Erweiterte Lernformen und individualisiertes Lernen in differenzierenden Lernlandschaften sind Ausdruck innerer Differenzierung des Unterrichts.
  • Äussere Differenzierung umfasst alle strukturellen Differenzierungsmöglichkeiten, um verschiedenen Niveaus und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Dies beinhaltet klassen-, alters- und schulübergreifende Angebote, wie beispielsweise die spezifische (Begabungs-)Förderung, interessengeleitetes Lernen in Wahl- und Neigungsbereichen oder Niveaugruppen (Grouping) sowie Pull-out-Programme und Mentoring. Zur äusseren Differenzierung gehören auch Thematiken wie z.B. die Durchlässigkeit eines Bildungssystems (zwischen Schultypen, Leistungsniveaus, zwischen eher beruflich und eher akademisch orientierten Bildungsgängen) und neue Formen der Leistungsbewertung, welche die Kompetenzen der Lernenden personenbezogen und an Kriterien orientiert in Leistungsprofilen ausweisen.

Generalisierte und statische Zuweisungen von Jugendlichen in fest umschriebene Leistungsstufen (Schultypen) haben sich in den vergangenen Jahren als «Scheinhomogenität» erwiesen. Gymnasiasten bzw. Gymnasiastinnen und (Hoch-)Begabte stellen ebenso wenig homogene Schüler/innengruppen dar wie Lernbeeinträchtigte.

Drehtürmodell

Das «Drehtürmodell» beruht auf dem Prinzip, dass die Schülerinnen und Schüler zu festgelegten Zeitfenstern den Unterricht in der Regeklasse verlassen können, sobald Lerhpersonen Anzeichen für besondere Leistungsbereitschaft erkennen. Dabei werden in dieser Zeit z.B. selbstständige Projekte bearbeitet, Lerninhalte einer höheren Klassenstufe besucht oder es kann an einem klassenübergreifenden Begabungsprogramm teilgenommen werden. Die Bezeichnung «Drehtür»-Modell signalisiert, dass Lernende zwischen dem regulären Unterricht und individueller Förderung ohne aufwendige administrative oder diagnostische Verzögerungen in hoher Flexibilität wechseln können, wenn das Basislernprogramm garantiert und eine zusätzliche Förderung angezeigt ist. Schülerinnen und Schüler nehmen in dieser Zeit die Angebote in klassenübergreifenden Talent-Pools, Pull-out-Stunden oder in Begabtenateliers wahr; in fortgeschrittenen Schularten geben Freistellungen vom Normunterricht auch die Gelegenheit, mit ausserschulischen Berufsleuten, Künstlerinnen, Forschern und Fachmentorinnen zusammenzuarbeiten.
Die flexible Handhabung nach dem «Drehtürmodell» steht im Zusammenhang mit dem flexiblen Identifikationssystem  und mit der Erkenntnis, dass Begabung kein "schulpsychologischer Fall" ist, sondern eine eigene Dynamik trägt.  
So nehmen Lernende dann an Förderprogrammen teil, wenn sie überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen imstande sind. Sie verlassen das Begabungsprogramm, wenn die Lernzeit anders benötigt wird oder wenn sich entwicklungsbedingte oder persönliche situative Veränderungen ergeben haben. Das Drehtürmodell ermöglicht auch, probeweise und «auf Zeit» ein Klassenüberspringen oder einen Wechsel innerhalb von Niveaustufen zu versuchen. Es schafft – als Alternative für oft fragwürdige prognostische Identifikations- und Zuweisungsverfahren – einen realen Erfahrungsraum als Grundlage für Förderentscheide.

Dysfunktionaler Perfektionismus

Bei dysfunktionalem Perfektionismus leiden Leistungsstarke unter übersteigert hohen Selbstansprüchen, denen sie nicht zu genügen glauben. Die pathologische Angst vor Misserfolg kann zu Versagensängsten, Blockaden und einem Einbruch des Selbstwertgefühls führen.

E

Enrichment

Enrichment (zu Dt.: "Anreicherung") kann sowohl eine inhaltliche Vertiefung und Erweiterung innerhalb obligatorischer Lerninhalte umfassen als auch weiterführende Lernaktivitäten über den schulischen Lehrplan hinaus. Enrichment regt interessierte und motivierte Schüler und Schülerinnen an, sich in ihren Begabungsdomänen vertieft weiterzuentwickeln oder sich neue Interessengebiete zu erschliessen. Ein umfassendes schulisches Enrichment-Modell (SEM), das sich internationaler Akzeptanz und Umsetzung erfreut, wurde 1997 durch Renzulli und Reis entwickelt. Es beinhaltet u.a.:

  • Typ-l-Aktivitäten: Anregende Begegnungen mit Fachpersonen und «Schnupperangebote» zur Erschliessung neuer Interessen; Initiation und Identifikation
  • Typ-ll-Aktivitäten: Aufbau von Strategien, Techniken und Methodenkompetenz zu interessengeleitetem, projektbezogenem Lernen; Befähigung zu selbstorganisiertem Lernen und Gestalten mit dem Fokus auf erhöhte Anforderungen
  • Typ-lll-Aktivitäten: Durchführung bedeutsamer eigenständiger Projekte in Einzelarbeit oder Kleingruppe; Präsentation und Reflexion des Geleisteten

Extrinsische Motivation

Die Motivation zum Erbringen einer Leistung nicht um ihrer selbst willen, sondern um eine Belohnung zu erhalten oder um einer Bestrafung zu entgehen.  Eine extrinsische Motivation wäre beispielsweise das Lösen einer Aufgabe für eine gute Schulnote oder das Ausüben eines Berufes nur aufgrund der Entlöhnung dafür. Die extrinsische Motivation wird auch folgenorientierte Motivation genannt.

Sansone, C. & Smith, J. L. (2000). Interest and self - regulation: The relation between having to and wanting to. In C. Sansone & M. Harackiewicz (Eds.). Intrinsic and Extrinsic Motivation (p. 354). San Diego, CA: Academic Press

F

Flow

Mit Flow wird der angestrebte Zustand von höchster Motivation, Konzentration und Erfüllung beschrieben, der sich durch Versunkenheit und völlige Hingabe ausdrückt. Das Gegenteil eines Flow-Erlebens beschreibt sich, im schulischen Kontext, am besten mit dem Zustand von Unterforderung gepaart mit Langeweile.

Csikszentmihalyi, M. (2000). Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile im Tun aufgehen. Klett.

Freiarbeit

Die Freiarbeit (Typ-III-Aktivität -  mehr Infos im Glossar unter "Enrichment") ist eine anspruchsvolle Unterrichtsform, in der Schülerinnen und Schüler sich – in Absprache mit der Lehrperson – eigene Ziele setzen, die sie erreichen möchten (Prozess- und Produktziele resp. fachliche, persönlichkeitsbildende und soziale Ziele). In der selbstständigen Auseinandersetzung mit ihren Themen und Fragestellungen erhalten Lernende einen grossen Freiraum, ihre selbst gewählten Tätigkeiten/Projekte zu planen, zu organisieren, durchzuführen und auszuwerten. Dies beinhaltet auch das Setzen von Kriterien und Gütemassstäben (Selbstverpflichtung), denen sie ihre Leistung anschliessend unterziehen.

Frühstudium

Angebot an leistungsstarke Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Mittel- oder Oberstufe, bereits parallel zur Schulausbildung mit einem Hochschulstudium zu beginnen, wobei ihnen bei der Weiterführung des Studiums nach der Matur resp. Berufsmatur vorher erbrachte Studienleistungen anerkannt werden.

G

Grouping

Unter Grouping (Gruppenbildung) wird in der Begabungsförderung verstanden, (hoch-)begabte Schüler und Schülerinnen fach- oder themenspezifisch, aber klassenübergreifend, in Leistungs- oder in Interessengruppen zu fördern.  (Hoch-)Begabte lernen somit separiert vom Klassenverband in leistungs-homogenen Gruppen im Sinne einer äusseren Differenzierung. Forschungsergebnisse belegen, dass für viele (hoch-)begabte Schülerinnen und Schüler das sich gegenseitig anregende und herausfordernde Umfeld durch die Zusammenarbeit mit anderen leistungsstarken Lernenden positiv motivierend und leistungssteigernd wirkt.

H

HAWIK-IV

Der HAWIK-IV (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder - IV)  ist international einer der am häufigsten verwendeten Intelligenztest für Kinder und Jugendliche im Alter von 6  bis 16 Jahre und elf Monate. Er besteht aus 15 Untertests und erfasst die folgenden fünf Intelligenzwerte:

  • Sprachverständnis
  • Wahrnehmungsgebundenes logisches Denken
  • Arbeitsgedächtnis
  • Verarbeitungsgeschwindigkeit
  • Gesamt-IQ-Wert

Diese fünf Intelligenzwerte ermöglichen eine differenzierte Erfassung des kognitiven Entwicklungsstandes des Kindes. Zusätzlich können auf der Untertestebene weitere Analysen vorgenommen werden. So können aufgrund der Profilanalyse differenzierte Aussagen über Stärken und Schwächen eines Kindes gemacht werden.

Heterogenität - Diversität

Heterogenität anerkennt, dass Menschen sich in Personenmerkmalen wie Denkfähigkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Reizverarbeitung usw. unterscheiden. In Erweiterung des Heterogenitätskonzepts verweist «Diversität» darauf, dass sich Menschen nicht nur durch genetische Unterschiede, sondern auch durch ihre Sozialisation unterscheiden. So sind multikulturelle und soziokulturelle Einflüsse (bildungsnahe und bildungsferne familiale Herkunft) mit unterschiedlichen Wertevorstellungen und Bildungsaspirationen wesentlich mitbeteiligt an der Verschiedenartigkeit von Schülerinnen und Schülern beim Eintritt in die Schule.
Im Bildungssystem wurde über Generationen das Bilden homogener Gruppen nach vergleichbarem Entwicklungs- und Leistungsstand angestrebt (Jahrgangsklassen, mehrgliedrige Sekundarschule I, separative Sonderschulung). Homogen zusammengesetzte Lerngruppen sollten das Unterrichten erleichtern und das Lehren wirksamer gestalten. Solche Scheinhomogenitäten erwiesen sich jedoch als Fiktion; gleichwohl wurde der Unterricht lange auf nicht existente, «mittlere Normalschüler» ausgerichtet. Lernende, die dieser Norm nicht entsprachen, liefen Gefahr, zu wenig vom Unterricht profitieren zu können oder gar ausgesondert zu werden.
Mit der Pluralisierung der Gesellschaft und zunehmender Sensibilität für Bildungsungerechtigkeit aufgrund zugeschriebener Merkmale wie Geschlecht, Alter und sozialer Herkunft erweist sich die Konzeption vermeintlich homogener Lerngruppen als problematisch und nicht mehr haltbar (Stigmatisierung, Etikettierung). Aktuelle Bildungsdiskurse zur Bildungsgerechtigkeit und zur Vorstellung einer Gesellschaft der Inklusion verfolgen den Grundsatz, allen Lernenden eine ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechende (Aus-)Bildung zu garantieren. Die Schule soll dabei zum Modell einer Gesellschaft werden, die nicht auf Ausgrenzung angelegt ist, sondern sich den Realitäten von Heterogenität, Diversität und Pluralität stellt. Dies stellt Schulen, Lehrpersonen und das Bildungssystem vor eine grosse Herausforderung. 

Hochbegabung

Die aktuelle Forschung hat bislang noch keine einheitliche Definition von Hochbegabung hervorgebracht. Etliche Definitionen stützen sich lediglich auf das Vorliegen einer allgemeinen, sehr weit überdurchschnittlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit, im Sinne einer hohen Denk- und Problemlösefähigkeit. Diese Auffassung des Hochbegabungsbegriffs widerspiegelte sich auch lange Zeit (teilweise bis heute!) in schulischen Kreisen: «Hochbegabung liegt ab einem IQ von 130 vor». Mittlerweile wird eine solch einseitige Definition in Forschung und Praxis vielerorts nicht mehr unterstützt, weil dadurch Hochbegabung auf gezeigte messbare kognitive Teilleistungen reduziert wird und Hochleistungen in nicht-akademischen Domänen ebenso vernachlässigt werden wie die zur Entwicklung von Hochleistung unabdingbaren weiteren nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmale.
Demnach ziehen breiter gefasste Definitionen, nebst der intellektuellen Fähigkeit, weitere Fähigkeits- bzw. Begabungsbereiche mit ein und machen sie zu Hochbegabungsdomänen (z.B. soziale oder musische Begabungen, bildnerisch-darstellende sowie psychomotorisch-praktische Begabungen). Andere Definitionen stellen die Hochbegabung ins Licht eines hohen Entwicklungspotenzials in einer bestimmten Begabungsdomäne.

I

Identifikation

Das Entdecken von Begabungspotenzialen, Interessen und überdurchschnittlichen Fähigkeiten liegt im Berufsauftrag jeder Lehrperson. In Zusammenarbeit mit Eltern, Erziehungsberechtigten und aufgrund der Beobachtung der Leistungen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler lassen sich überdurchschnittliche Fähigkeiten und Begabungspotenziale weitgehend erkennen.
Da die Forschung jedoch zeigt, dass Lehrpersonen Begabungen oft nicht realisieren, verfügen viele Schulen über Lehrpersonen mit einer entsprechenden Zusatzausbildung in Begabungsförderung (Zertifikatslehrgang (CAS) und Weiterbildungsmaster (MAS) zur Integrativen Begabungs- und Begabtenförderung IBBF). Diese Fachpersonen unterstützen Lehrpersonen und Schulleitungen bei der Identifizierung von besonderen (auch verdeckten) Begabungen bei Schülerinnen und Schülern.

Zur Begabungserfassung durch alle am Bildungsprozess Beteiligten existiert für die Hand von Lehrpersonen, Begabungsfachpersonen und Eltern eine Vielzahl von Beobachtungsbögen, Fragebögen und Checklisten, die das Entdecken von Begabungspotenzialen ermöglichen. Eine Sammlung solcher Instrumente findet sich auf

In speziellen Fällen (bei Verdacht auf Minderleistung oder Fehlentwicklungen der Begabungsentfaltung) erfolgt die vertiefte Abklärung der psychologischen Hintergründe durch den Schulpsychologen oder die Schulpsychologin. Dabei achtet eine umfassende Begabungsabklärung in jedem Fall darauf, dass nicht nur intellektuelle Fähigkeiten (IQ) erfasst werden, sondern Potenziale in allen Begabungs- und Bildungsbereichen ebenso wie co-kognitive Voraussetzungen und Einstellungen zur Leistung bzw. Leistungsverweigerung miteinbezogen werden.

In Bildungssystemen, in denen durch die Gesetzgebung nach wie vor ein bestimmter IQ als Kriterium für den Zugang zu Fördermassnahmen verlangt wird, liegt die Abklärung entweder beim Schulpsychologen bzw. bei der Schulpsychologin oder bei den Fachpersonen MAS IBB mit anerkannter Zusatzqualifikation zur Begabungsabklärung.

Individuelle Interessensforschungsmethode (IIM)

Mit der IIM können sich Kinder in 7-Schritten grundlegende Strategien aneignen, um ein eigenes Thema, das sie interessiert, selbstständig zu erforschen. Die sieben Schritte der IIM sind:

  1. Thema suchen
  2. Ziele setzen
  3. Thema erforschen
  4. Notizen ordnen
  5. Ziele überprüfen
  6. Produkt erarbeiten
  7. Präsentation

Nebst dem Erwerb von Sachwissen steht das Erlernen von Arbeitsstrategien, Lern- und Arbeitstechniken im Vordergrund der IIM.


Müller-Hostettler, Doris (2001): Individuelles Forschen in 7 Schritten mit der IIM: Das ideale Lehrmittel zur integrativen Begabungs- und Begabtenförderung.

Inklusion

Inklusion bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler in einer heterogenen Lerngemeinschaft ohne Ausgrenzung und Etikettierung gemeinsam aneinander und voneinander lernen können. Eine Schule der Inklusion ist demnach das Abbild einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass Lern- und spezifische Förderanlässe zeitweise in klassenübergreifenden und ergänzenden Lernformaten stattfinden. Die Auffassung, Inklusion würde das Unterrichten von Lernenden mit unterschiedlichen Bedürfnissen auf den gemeinsamen Klasseunterricht eingrenzen, ist ein zu kurz greifendes Fehlverständnis des Inklusionsansatzes. Inklusion steht für barrierefreien Unterricht, der allen Lernenden den Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht, sowie für die Anerkennung verschiedenartiger Förderung durch unterschiedliche Lernformate innerhalb einer Schule der Vielfalt als lernender Gemeinschaft.

Intelligenz

Intelligenz (lat. intellegere verstehen, erkennen, einsehen) gilt als ein Persönlichkeitsmerkmal, das ab dem Jugendalter eine hohe Stabilität aufweist. Nach Wechsler (2001) bezeichnet es die Fähigkeit: "[...] zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen." Bei der Intelligenz handelt es sich um ein theoretisch postuliertes Konstrukt, das sich nur indirekt über die Bearbeitung von Intelligenztests schätzen lässt. In den vergangenen 50-70 Jahren sind aus der Psychologie unterschiedliche Intelligenzstrukturmodelle hervorgegangen. Ältere Modelle sind z.B. das Generalfaktormodell von Spearman (1904) oder das Modell der fluiden und kristallinen Intelligenz von Horn und Cattell (1971). Jüngere Modelle sind z.B. das Berliner Intelligenzstrukturmodell von Jäger (1984) oder das CHC- oder "3-Schichten"-Modell von Horn, Cattell und Carroll (1993). 

"Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst" -  die psychometrische Intelligenz

Das Konzept der psychometrischen Intelligenz ist in der Öffentlichkeit sowie auch in Teilen der wissenschaftlichen Psychologie umstritten. Immer mehr wird angezweifelt, ob lediglich die kognitive Leistung, welche in Intelligenztestaufgaben (Problemlöse-, Abstraktions- und Denkfähigkeiten) gemessen wird, das Konzept der Intelligenz breit genug abbildet. Die erreichte Punktezahl in einem Intelligenztest dient oftmals einzig als Kriterium zur Einteilung von Menschen in "durchschnittlich intelligente" (IQ = 85-115), "hochintelligente/hochbegabte" (IQ =/> 130) oder "unterdurchschnittlich intelligente" Personen (IQ < 85). Gegenüber dem einseitigen Konzept der psychometrisch erfassten Intelligenz steht ein breiteres Intelligenzverständnis, welches, nebst hohen kognitiven Denkfähigkeiten auch Fähigkeiten und Fertigkeiten berücksichtigt, z.B. in Form einer sozialen oder emotionalen Intelligenz. Diese Ansätze finden in gesellschaftlichen und pädagogischen Kreisen heutzutage weitaus mehr Akzeptanz, da sie sich von dem einseitigen, testbasierten Intelligenzverständnis abgrenzen. Zudem führen die genannten Fähigkeiten (oder: Intelligenzen) ebenso zu Erfolg im Leben. So führte z.B. Howard Gardner sein Modell der "Multiplen Intelligenzen" (1983) ein - und zeigt 9 verschiedene Intelligenzen auf, die notwendig sind, um Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu überwinden. Z.B. die sprachlich-linguistische Intelligenz, die musikalisch-rhythmische Intelligenz, die bildlich-räumliche Intelligenz oder die körperlich-kinästhetische Intelligenz sind einige von Gardner's Multiplen Intelligenzen. 

Intelligenzquotient

Der Intelligenzquotient (IQ) gilt als Mass für die intellektuelle Leistungsfähigkeit (Intelligenz) einer Person und dient der Quantifizierung von Testergebinssen in einem Intelligenztest. Der durchschnittliche IQ liegt bei 100 und der Normbereich liegt zwischen 85 und 115. 

Intrinsische Motivation

Die Motivation zum Erbringen einer Leistung um ihrer selbst willen und nicht wegen antizipierter positiver Konsequenzen. Die intrinsische Motivation wird auch aufgabenorientierte Motivation genannt. Damit eine Tätigkeit als intrinsisch motiviert gelten kann, sollte sie folgende Merkmale aufweisen:

  • Die Tätigkeit soll nicht über- oder unterfordernd sein, also die Kompetenz des Kindes in angemessener Weise fordern.
  • Die Tätigkeit soll ein freudiges Aufgehen in der Handlung selbst ermöglichen, das von Selbstvergessenheit und völliger Konzentration auf die Aufgabe (Flow) begleitet ist. Dies geschieht vor allem bei Aufgaben, die den eigenen Interessen entsprechen.
  • Die Tätigkeit soll ein Gefühl der Selbstbestimmung vermitteln. Das Erleben von Autonomie entsteht dann, wenn das Kind sich selbst als Urheber der Handlung wahrnimmt und nicht aufgrund äusserer Zwänge handelt.

Die Forschung zeigt übereinstimmend, daß intrinsisch motiviertes Verhalten positive Folgen nach sich zieht. So sind damit größere Flexibilität im Denken, höhere Kreativität, bessere Lernleistungen und eine positivere emotionale Befindlichkeit verbunden. Intrinsisch motivierte Personen zeigen sich im Vergleich mit extrinsisch motivierten Personen zufriedener mit ihrer Tätigkeit, verfolgen die Ziele hartnäckiger, freuen sich mehr über das Erreichen eines Zieles und kommen besser mit Misserfolg zurecht.

Sansone, C. & Smith, J. L. (2000). Interest and self - regulation: The relation between having to and wanting to. In C. Sansone & M. Harackiewicz (Eds.). Intrinsic and Extrinsic Motivation (p. 354). San Diego, CA: Academic Press

K

Kompetenzraster

In Kompetenzrastern wird konkret festgehalten, welche Kompetenzen die Lernenden in Bezug auf bestimmte Lerninhalte erreichen. Oft wird der erreichte Lernstand nach vier Prädikaten beurteilt (Defizitstufe, elementare Entwicklungsstufe, fortgeschrittene Entwicklungsstufe, Exzellenzstufe). Kompetenzraster haben gegenüber traditionellen Bewertungspraktiken den Vorteil, dass in ihnen ausgewiesen wird, was Schülerinnen und Schüler, auf Sachkriterien bezogen und objektiviert, konkret können (kriteriale Bezugsnorm). Dadurch ist die Leistungsbewertung kompetenzbezogen und nicht relativiert durch den Bezug auf eine bestimmte soziale Lerngruppe. Das Lernen mit Kompetenzrastern ermöglicht, Fortschritte in Lernprozessen in förderdiagnostischem Sinn progressiv auszuweisen.

L

Lernlandschaften

Lernlandschaften resp. Lernumgebungen ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, innerhalb bestimmter Themen oder Zeiträume mehr oder weniger leistungsdifferenzierende Lernaufgaben in unterschiedlicher Lernzeit zu bearbeiten. Das selbstorganisierte Lernen in der Lernlandschaft – in Verbindung mit gezielten Inputs und einer personalisierten Lernbegleitung – will individualisiertes Lernen ermöglichen, das sich an den jeweiligen Lernvoraussetzungen und Fähigkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler orientiert. Es berücksichtigt deren Vorkenntnisse, Zugangsweisen, unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten sowie die individuellen Niveaus der vertiefenden Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Die Organisation der Lernaufgaben erfolgt in der Regel über Wochenpläne, Werkstattunterricht, Leitprogramme oder andere erweiterte Lernformen. Dabei werden die Lernenden nicht sich selbst überlassen, sondern – falls nötig – in ihren individuellen Lernpfaden begleitet. Für Fragen ist ein Supportsystem vorhanden, das Unterstützung und Hilfeleistung bietet. Die Lernenden halten ihre individuellen Lernwege fest in ihren persönlichen Portfolios oder Arbeitsplänen, die in der Lernberatung besprochen und bewertet werden.

Lerntagebuch/Lernjournal

Im Lerntagebuch oder Lernjournal halten die Schülerinnen und Schüler individuelle Zielsetzungen, Lernerfahrungen sowie Schwierigkeiten oder Fragen im Lernprozess oder zu den Lerninhalten (Sinn- und Wertefragen) im Sinn einer Arbeitsrückschau schriftlich fest. Die Lernenden setzen sich mit ihrem eigenen Lernen (Strategien, Widerständen, Erfolgserleben) auseinander (Metakognition). Das Lernjournal stellt die Grundlage für regelmässige Lerndialoge zum eigenen Lernen mit der Lehrperson dar.
Im Gegensatz zum Portfolio (Produkte-, Leistungsdarstellung) orientiert sich das Lernjournal an der Person und deren Lernkompetenzen und Lerneinstellungen. Das Lernjournal ist ein sehr persönlicher Bestandteil des Portfolios. Aus diesem Grund ist zu vereinbaren, wer zu welchem Zweck Einblick in das Lernjournal erhält (z.B. Mentoren und Mentorinnen, Klassenlehrperson, Vertrauenslehrpersonen u.a.).

M

Mentoren - Mentoring

Ein Mentor bzw. eine Mentorin ist eine Fachperson, Expertin oder ein Experte einer Fachdomäne, die eine Schülerin resp. einen Schüler (Mentee) in dessen Begabungsdomäne oder in einem Projekt unterstützt. Das Ziel ist eine vertiefte Unterstützung und Anregung zur Begabtenförderung über den Unterricht und die Schule hinaus, dort, wo diese jenes nicht leisten kann.
Mentoren und Mentorinnen sind fachliche und persönliche Vorbilder. Sie fördern die überdurchschnittlichen Begabungen und Interessen ihrer Mentees, helfen ihnen bei der Zielfindung, Orientierung und Prioritätensetzung und korrigieren Fehlentwicklungen und Fehlverständnisse. Sie regen ihre Mentees an und eröffnen ihnen weitere Horizonte.

Mentoring ist ein Prozess, in dem Mentoren und Mentorinnen die Entwicklung von Mentees ausserhalb der normalen Unterrichtsbeziehung unterstützen. In der schulischen Begabungsförderung kann sich dies unterschiedlich ausgestalten. Die Mentorin für einen Primarschüler kann etwa eine Lehrperson aus einer höheren Schulstufe mit spezifischer Expertise sein. Mentoren sind oft auch ausserschulische Künstler, Forscherinnen, Handwerker und Berufsleute mit überdurchschnittlichem Engagement und Expertise (auch Senioren). Mentorate werden in der Regel durch die ausgebildete Fachperson der Begabtenförderung der Schule organisiert und (an-)geleitet und setzen schriftliche Vereinbarungen zwischen allen Beteiligten voraus. Mentorate basieren auf Freiwilligkeit, einer positiven Beziehung zwischen Mentor bzw. Mentorin und Mentee, sowie auf einer Vorbildkultur.

Metakognition

Metakognition ist ein Oberbegriff für das Nachdenken über das eigene Wissen und Tun. Durch Metakognition können Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Stärken und Schwächen, sowie ihren Wissensstand einschätzen. Metakognition ermöglicht es auch, sich beim Lernen zu beobachten und zu kontrollieren.

  • Flavell, J.H. (1984). Annahmen zum Begriff Metakognition sowie zur Entwicklung von Metakognition. In: Weinert, F. E., (Hrsg): Metakognition, Motivation und Lernen. Stuttgart: S.23-30.
  • Brunner, E., Gyler, D. & Lienhard, P. (2005): Hochbegabung – (k)ein Problem? Zug: Klett und Balmer AG.

Minderleistung/Underachievement

Minderleistung (engl. Underachievement) liegt vor, wenn Schülerinnen und Schüler ihre Fähigkeiten, nicht in adäquate Leistungen umsetzen können (oder wollen); d. h., wenn die Potenziale der Lernenden und die Erwartungen der Schule einander nicht entsprechen. Mögliche Folgephänomene des Underachievements sind Schüler und Schülerinnen, die trotz hoher Intelligenz nur mässige oder schlechte Schulleistungen erbringen und an der Schule scheitern oder Lernende, die ihre Fähigkeiten in verschiedenen Begabungsdomänen nicht zeigen können. Eine grosse Zahl an Studien und Erfahrungsberichten aus dem pädagogischen Alltag zeigen, dass oft Lernende mit Hochbegabungspotenzialen aufgrund des gegenwärtigen Leistungsverständnisses oder der Praktiken der Leistungsbewertung in den Schulen nicht erkannt und somit nicht angemessen gefördert werden (Weiterführende Literatur: Heller, 2000; Siegel/ Powell, 2004; Stamm, 2008). 
Bei Verdacht auf Minderleistung kann es angezeigt sein, einen Intelligenztest durchzuführen, um eine allfällige Diskrepanz zwischen IQ (als Teilpotenzial) zu den tiefen Schulleistungen festzustellen und damit Fördermassnahmen zu erwirken.

Misfit, schulischer

Ein schulischer Misfit liegt vor, wenn die individuellen (Leistungs-)Potenziale der SchülerInnen und die Erwartungen der Schule einander nicht entsprechen. Häufig bildet dieser Misfit die Grundlage für schulisches Versagen oder darauf basierendes Underachievement (Minderleistungsverhalten). 

Der Kinderarzt Remo Largo hat mit dem sogenannten «Zürcher Fit-Konzept» den Begriff im Kontext der Schweiz bekannt gemacht. Das Konzept zielt darauf ab, dem Kind zu helfen, seine Stärken zu verwirklichen, seine Schwächen zu akzeptieren und damit umgehen zu lernen sowie ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Dazu müssen die drei Hauptbedürfnisse nach emotionaler Sicherheit, sozialer Akzeptanz sowie nach Entwicklungsmöglichkeiten und Lernerfahrungen erfüllt werden. Das Fit-Konzept strebt in diesem Sinne eine ideale Passung zwischen Kind und sozialer Umwelt an. Ist die Passung zwischen kindlichen Bedürfnissen und den Angeboten aus seiner Umgebung nicht vorhanden, kommt es zu einem Misfit.
Ursula Hoyningen-Süess und Dominik Gyseler (2006) haben das Konzept des Misfits auf den pädagogischen und sonderpädagogischen Bereich angewendet. Sie unterscheiden drei Formen:

  • interner Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Entwicklungsmerkmalen des Kindes (z.B. Perfektionismus als Misfit zwischen individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen oder sozio-emotionale Schwierigkeiten als Misfit zwischen kognitiven und sozio-emotionalen Kompetenzen);
  • klassischer Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen bestimmten Entwicklungsmerkmalen des Kindes und bestimmten Umweltmerkmalen (z.B. schulische Unterforderung als Misfit zwischen kognitiven Kompetenzen bzw. Bedürfnissen und Anforderungen des Unterrichts oder Kontaktschwierigkeiten als Misfit zwischen kognitiven bzw. sozialen Kompetenzen und sozialen Erwartungen);
  • externer Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Umweltmerkmalen (z.B. didaktische Differenzen als Misfit zwischen methodisch-didaktischen Vorstellungen der Eltern und dem Unterrichtsstil der Lehrperson).

Besteht ein Misfit über längere Zeit kann es zu Entwicklungsbeeinträchtigungen des Kindes, Verhaltensauffälligkeiten oder psychosomatischen Beschwerden kommen.

Multiple Intelligenzen

In Erweiterung an das traditionelle Intelligenzkonzept, das sich durchgehend an kognitiven Leistungsgrössen orientiert, hat Gardner (1993) drauf verwiesen, dass sich Intelligenz auch über akademische Faktoren (sprachgebunden-mathematische/logische Fähigkeiten) hinaus in weiteren Domänen (körperlich, musisch, ästhetisch, sozial, existenziell u. a.) manifestieren kann. So konzipierte er die "Theorie der multiplen Intelligenzen". Darin geht er von acht voneinander unabhängigen Intelligenzen aus.

Auch weitere Konzepte, etwa das von Sternberg (1997) mit der Betonung praktischer und sozialer Intelligenz oder Golemans (1995) emotionale Intelligenz, haben den Horizont der Begabungsförderung darauf hin erweitert, über akademische Intelligenzdefinitionen hinaus Begabungen in den multiplen Begabungsdomänen im Sinn eines breiten Bildungsverständnisses anzuerkennen und zu fördern.

N

O

Overachiever/Hochleistung

Schülerinnen und Schüler welche die Leistungen oberhalb ihres eigentlich vorhandenen Potentials erbringen, werden Overachiever (Hochleister) bezeichnet. In Wissenschaft und Praxis besteht seit einiger Zeit klar ein Konsens darüber, dass ausserordentliche Fähigkeiten oder eine hohe Intelligenz nicht genügen, so dass aus einem Begabungspotenzial eine Hochleistung entsteht. Die Wechselwirkungen zwischen subjektiven Potenzialen, förderlichen oder hemmenden Umwelteinflüssen und eigener Entscheidungen der Person sind dynamisch, beeinflussbar und ein Ausdruck gelingender Lehr-Lern- und Bildungsprozesse. Die (Hoch-)Leistungen erzielen diese Schülerinnen und Schüler durch besondere Kreativität, praktische Intelligenz oder überdurchschnittlichen Fleiss. Nach Renzullis drei Ringe- Modell entsteht Hochleistung durch ein Zusammenspiel von überdurchschnittlicher Fähigkeit, Engagement und Kreativität. Unter überdurchschnittlicher Fähigkeit versteht man den oberen Leistungsbereich, also die obersten 15 bis 20% (ab Prozentrang 80 bis 85) in einem Gebiet. Engagement beschreibt Durchhaltevermögen, Ausdauer, aber auch harte Arbeit und Selbstvertrauen bezüglich einer Arbeit/einem Thema. Hochleistungen werden von bestimmten Menschen, zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Situationen erbracht. Hochleistungen bei Kindern und Jugendlichen sollten immer relativ zum Alter und dem Entwicklungsstand beurteilt werden.

 

Renzulli, J. S., Reis, S. M. & Stedtnitz, U. (2001): Das schulische Enrichment-Modell SEM. Begabungsförderung ohne Elitebildung. Aarau: Bildung Sauerländer.

Overexcitability

Overexcitability (übersetzt: "Hohe Sensitivität", "Hochsensibilität", "Hypersensibilität", "Superstimulierbarkeit") bezeichnet eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, bzw. eine erhöhte Responsivität auf Stimuli. Es wird geschätzt, dass die Fähigkeit bei ca. 15-20% der Menschen auftritt. Die Thematik ist, insbesondere in Hochbegabtenkreisen, in den letzten Jahren sehr populär geworden. Zahlreiche Ratgeber, Coaching-Programme und Selbsttests zur Hochsensibilität existieren bereits. Gewisse ForscherInnen führen die Popularität des Konstruktes auf die immer komplexer werdende Welt zurück, auf die gewisse Menschen mit Überforderung reagieren, als deren Ursache sie ihre hohe Sensibilität angeben.  Andere ForscherInnen sehen das Konstrukt Overexcitability als einen Ersatzbegriff für Neurotizismus. Die Overexcitability kann bei Betroffenen zu Lern- und zu sozialen Behinderungen, Blockaden und einer problematischen Selbstwahrnehmung führen, die darin resultieren kann, dass sie sich zurücknehmen und sich in ihrer Lernumgebung nicht entfalten können.

Kempter, U. (2021). Overexcitability, Hochsensitivität und Begabung. In: Müller-Oppliger, V. & Weigand, G. (Hrsg.). Handbuch Begabung. Beltz-Verlag. 

 

P

Portfolio

Portfolios sind die Dokumentation individueller Lernleistungen und Reflexionen. Sie erfüllen dabei verschiedene Funktionen: So können sie den gesamten Lernweg darstellen oder eine Sammlung ausgewählter Meisterstücke sein (Total Talent Portfolio nach Renzulli; «Best-of-Portfolios»). Darüber hinaus enthalten viele Entwicklungsportfolios ein persönliches Profil der Lernenden (Lernstil, Interessen, Motive, individuelle Stärken und Schwächenprofile), das der Selbstwahrnehmung dient. Ferner beinhalten die Portfolios persönliche Reflexionen (oft in Form eines Lernjournals der Lernenden), in dem diese ihre individuellen Lernwege, Motivation, Widerstände, Lerneinstellungen und Fragen zur Diskussion im persönlichen Lerndialog/Lerncoaching festhalten. Individuelle Lernvereinbarungen (Vereinbarungskultur, Contracting) nehmen eine Steuerungsfunktion für das weiterführende Lernen und angestrebte nächste Ziele ein.
Während Leistungsdokumentation im Portfolioteil bewertet werden kann, dient das Lernjournal resp. das Lerntagebuch der Entwicklung der Persönlichkeit. Als Grundlage vertraulicher personalisierter Lernberatung steht das Lernjournal in Widerspruch zur fachlichen Leistungsbewertung (und wird in der Regel nicht bewertet; Vertrauenskultur).

Das Portfolio dokumentiert die individuelle Geschichte und Entwicklung des Lernens. Es ist eine begründete, exemplarische und kontinuierlich zusammengestellte Sammlung von Arbeiten in verschiedensten Stadien und von Reflexionen, Vereinbarungen und Beurteilungen von Lehrenden und Lernenden. Mithilfe des Portfolios setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Lernen auseinander, stärken ihr Selbstbewusstsein und ihre Lernmotivation.

Potenzial

Als Potenzial werden Entwicklungsmöglichkeiten resp. noch nicht ausgeschöpfte Fähigkeiten zur Entwicklung bezeichnet. Dabei entstehen Potenziale aus der biographischen Verbindung von vererbten Dispositionen und bereits erfolgten Lernprozessen. Aus Potenzialen können – bei entsprechender Erfahrung, Förderung von aussen und innerer Beteiligung – Hochleistungen oder bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Leistungsfreude, Leistungswille) entstehen. Potenziale sind deshalb in einem gewissen Rahmen dynamisch und veränderbar.
Die Potenzialanalyse misst den aktuellen Entwicklungsstand im Sinn einer Momentaufnahme. Darunter wird eine strukturierte Untersuchung auf das Vorhandsein bestimmter Fähigkeiten (Stärken und Schwächen) verstanden, um Ausgangspunkte zur Förderung zu finden. Die Potenzialanalyse nutzt dazu verschiedene Erfassungsmöglichkeiten: Dazu gehören einerseits  Messinstrumente, die das Kind selber ausfüllt und bei denen die Einschätzung von Eltern, Lehrpersonen oder sonstigen Fachpersonen erforderlich ist. Andererseits werden  Testverfahren eingesetzt, die einzelne Fähigkeitsbereiche zu erfassen vermögen. Das Ziel besteht immer in der Abschätzung eines Ist-Zustandes oder in der Vorhersage dessen, was möglich oder wahrscheinlich ist.

Pull-out

«Pull-out»-Programme sind Förderangebote, die zeitgleich neben dem Regelunterricht als Begabtenateliers stattfinden. Sie schaffen über den regulären Lehrplan hinaus eine Lernsituation, in der anspruchsvolle Methoden des forschenden Lernens, higher order thinking skills (höher stehende Denkfertigkeiten), und kreative Produktivität entwickelt werden und Lernende sich in ihrer Begabungsdomäne vertieft entfalten können. Die Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Interessen werden dabei von einer speziell ausgebildeten Fachperson der Begabtenförderung angeleitet und begleitet. Die Inhalte der Pull-out-Programme gehen über diejenigen des regulären Lehrplans hinaus; sie orientieren sich an den individuellen Begabungsprofilen der Lernenden. Pull-out-Programme sind klassenübergreifend; sie können (je nach lokaler Situation) schulhaus- oder schulstufenübergreifend organisiert werden.

Q

R

Ressourcenzimmer

Im Ressourcenzimmer stehen Lernmaterialien zur spezifischen Begabtenförderung und vertieften Auseinandersetzung sowie Medien zur erweiterten Informationsbeschaffung zur Verfügung. Organisierte Ressourcenzimmer sind eine rein schweizerische Entwicklung. In anderen Bildungssystemen erfüllen diese Funktionen offen zugängliche und begleitete Schulbibliotheken und Mediotheken mit Arbeitsplätzen, Stillarbeitsräume zur individuellen Arbeit der Lernenden, offene Werkstätten sowie durch Fachpersonen begleitete Ateliers und Forscherräume.

S

Schulischer Misfit

Als schulischer Misfit wird verstanden, wenn die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Schülerinnen oder Schülern nicht in «Passung» stehen zur Lernsituation oder zu den von ihnen verlangten kognitiven oder sozialen Leistungen. «Passung» wäre die Übereinstimmung der Möglichkeiten oder Bedürfnissen des Kindes oder Jugendlichen mit seiner Umwelt, den angebotenen Lerngelegenheiten und den angestrebten Entwicklungsschritten, Kompetenzen oder Verhaltensweisen.

Misfit kann unterschieden werden in

  • internen Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Entwicklungsmerkmalen des Kindes; z. B. Misfit zwischen kognitiver und sozialer Entwicklung
  • situativen Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen Entwicklungsmerkmalen oder Potenzialen des Kindes und Merkmalen resp. Ansprüchen der sozialen Umwelt; z.B. schulische Über- oder Unterforderung
  • externen oder sytemischen Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Umweltmerkmalen; z.B. verlangte Selbständigkeit bei gleichzeitiger Erwartung nach Anpassung; individuelle Lernprozesse bei gleichgeschalteter Leistungskontrolle usw.

Misfit kann zu psychosomatischen Symptomen, Entwicklungsbeeinträchtigungen und/oder Verhaltensauffälligkeiten führen.

Schulisches Enrichment Model (SEM)

Das Schulische Enrichment Modell (SEM) wurde von Prof. Dr. Joseph Renzulli und seiner Frau Prof. Sally M. Reis entwickelt. Es stellt das weltweit bekannteste Modell der Begabtenförderung und Talententwicklung dar. Das Modell wurde nicht nur in US-amerikanischen Primar- und Sekundarschulen angewendet, sondern fand international grosse Anerkennung. Das SEM beinhaltet ein umfangreiches Enrichmentprogramm für SchülerInnen, die in ihren besonderen Bedürfnissen und Interessen, Lern- und Leistungsfähigkeiten sowie in ihrer kreativen Produktivität gefördert werden sollen. Das SEM besteht  aus drei Grundprinzipien, die aufeinander aufbauen:

  1. Talent Portfolio
  2. Compacting
  3. Enrichment

Das Ziel dieses Modells ist die breite Begabungsförderung in der Volksschule.   
 
Müller-Oppliger, V. & Weigand, G. (Hrsg.) (2021). Handbuch Begabung. BELTZ-Verlag. 

Selbstgesteuertes Lernen – Selbstorganisiertes Lernen

Selbstgesteuertes Lernen steht als Begriff für einen Wandel im Unterricht von einer vorwiegenden Lehrplanorientierung zur Personenorientierung, der für die Begabungsförderung von grundlegender Bedeutung ist. Selbstgesteuertes Lernen als umfassender Begriff beinhaltet, dass Lernende über Ziele und Inhalte, über Formen und Wege, Ergebnisse und Zeiten sowie die Orte ihres Lernens so weit wie möglich und verantwortbar selbst entscheiden resp. mitentscheiden (Freiarbeiten, Projektarbeiten). Dabei ist schulisches selbstgesteuertes Lernen weder beliebig noch steuerungsfrei, sondern stets an Bildungsabsichten, Lehrplanvorgaben oder Lernarrangements gebunden. Innerhalb didaktisch vorbereiteter Lernsettings (Lernlandschaften, Lerninszenierungen) können die Lernenden nach Interessenleitung, individueller Schwerpunktsetzung, dem individuellen Grad an Vertiefung (je nach Fähigkeiten), benötigter Lernzeit sowie in unterschiedlichen Formen der Bearbeitung (Methoden, Lernstil und Sozialform) weitgehend eigene Entscheide treffen und diese selber verantworten. Selbstgesteuertes Lernen trägt den Erkenntnissen der Selbstwirksamkeit und der Motivationspsychologie Rechnung. Schülerinnen und Schüler lernen, in ihrem Lernen Prioritäten zu setzen, Positionen zu ergreifen, diese zu begründen und ihr Lernen mitzuverantworten (Kompetenz zu lebenslangem Lernen).

Von selbstorganisiertem Lernen (SOL) wird gesprochen, wenn Lernende bei vorgegebenen Inhalten und Zielen ihr eigenes Lernen selbst organisieren und Entscheidungen über die Art und Weise ihrer Lernorganisation fällen. Selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen verlangen nach individueller Lerndokumentation (Portfolio, Lernjournal) und personalisierter Lernbegleitung.

T

Talent

Im deutschsprachigen Begabungsdiskurs werden die beiden Begriffe «Begabung» und «Talent» oft synonym benutzt. Etwas differenzierter erschliesst sich ein feiner Unterschied aus der englischsprachigen Formulierung gifted education (Förderung von Begabten) und talent development (Entwicklung von Begabungen).

Im schulischen Umfeld wird der Begriff «Talent» eher selten gebraucht. Demgegenüber nutzt die Berufsbildung vorwiegend diesen Begriff in dem Sinn, dass «junge Talente» gefördert und deren Begabungspotenziale verwirklicht werden sollen.
Der Begriff «Talent» gelangt auch in Begabungskonzepten nur bei Gagné (1991) zur Anwendung. Er geht davon aus, dass gegebene Begabungen durch Förderprozesse in Talente transformiert werden. Mit dieser Festlegung steht er aber alleine da.

Die Entwicklung des TAD-Frameworks (Preckel et al., 2020) führte zur Beschreibung von Begabung und Leistung unter einer Talententwicklungsperspektive. Die Talententwicklung spricht dabei den gesamten Entwicklungsprozess von anfänglichem Potenzial bis hin zu möglicherweise aussergewöhnlichen Leistungen an. 

Weil sowohl der Begriff «Begabung» als auch «Talent» recht unspezifisch benutzt wird, wird die Unterscheidung in die Begriffe «Begabungspotenziale» (für die förderbaren Voraussetzungen der Lernenden) und «Hochleistung» (für realisierte Leistung) in der Begabungsdiskussion vorgeschlagen.

Taxonomien

Mit Hilfe von Taxonomien können Ordnungssysteme aufgebaut werden (z.B. hierarchisch). Im Bildungsbereich werden Taxonomien verwendet, um qualitative Gütestufen in Lernprozessen von der Anbahnung bis zur Exzellenz resp. Verinnerlichung zu beschreiben. Während Auswendiglernen und Reproduktion von Begriffen eine noch eher banale Denkstufe beinhalten, erfordern Evaluation oder kreative Problemlösungen höhere kognitive Prozesse. Ebenso: Während Nachspielen auf dem Instrument und das Einhalten des Takts eher basale Stufen von Musikalität darstellen, finden sich Interaktion in einem Ensemble, Interpretation und persönlicher musikalischer Ausdruck des Virtuosen auf hohen Stufen der musikalischen Taxonomie.
Taxonomiemodelle existieren in den kognitiven, psychomotorischen, affektiven und moral-ethischen Bildungsbereichen.

Teilleistungsstörung

Eine Teilleistungsstörung ist ein Leistungsdefizit basierend auf einer Schwäche in bestimmten Fähigkeitsbereichen wie z.B. Rechnen, Sprechen oder Rechtschreibung bei durchschnittlicher Intelligenz. Dazu werden beispielsweise Legasthenie, Dyskalkulie oder nonverbale Lernstörungen gezählt. Teilleistungsstörungen können z.T. durch spezifische Förderung abgeschwächt werden. Bei ungenügender Behandlung können daraus psychosoziale und emotionale Beeinträchtigungen in der Entwicklung entstehen.

Testverfahren

In der Psychologie existieren unterschiedliche Testverfahren zur Erfassung menschlichen Erlebens, Verstehens und Verhaltens. Im Rahmen der Hochbegabungsdiagnostik spielen vor allem Intelligenztests eine bedeutende Rolle. Intelligenztests sind eine Gruppe von Testverfahren, welche die intellektuelle Leistungsfähigkeit messen und gleichzeitig die individuellen kognitiven Leistungsschwerpunkte bestimmen. Wissenschaftlich fundierte Intelligenztests sollen objektiv und zuverlässig messen (Objektivität und Reliabilität). Zudem sollten Intelligenztests gültige Ergebnisse liefern (Validität), also auch genau die kognitiven Leistungskomponenten erfassen, welche der Test zu messen vorgibt. Diese Kriterien, die Objektivität, Reliabilität und Validität, werden bei wissenschaftlich anerkannten Verfahren explizit überprüft. Außerdem müssen Intelligenztests weitere methodische und testtheoretische Kriterien erfüllen, um möglichst wahrheitsgetreue und aussagekräftige Ergebnisse zu liefern. Hierzu gehört die Normierung der Testergebnisse eines Tests für eine bestimmte Altersgruppe. Ein Test kann noch so gut sein, entscheidend für die Diagnostik ist eine sachgerechte Durchführung und angemessene Interpretation der Ergebnisse. Für die sachgerechte Durchführung, Auswertung und vor allem Interpretation von Intelligenztests und anderen Leistungstests sind umfassende psychodiagnostische Kenntnisse und theoretisches sowie empirisches Hintergrundwissen erforderlich. Daher sollten Tests nur von Psychologinnen und Psychologen durchgeführt werden.

Twice-Exceptional

Das Phänomen der "zweifach aussergewöhnlichen" (engl.: Twice-Exceptional) SchülerInnen zeigt sich in einerseits überdurchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten, andererseits mit gleichzeitig vorliegenden Defiziten wie z.B. Lernschwierigkeiten (Leseschwierigkeiten, Rechenprobleme...) oder Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitsfokussierung oder im Verstehen sozialer Hinweisreize. Beispiele sind der (hoch-)begabte ADHS-ler, der (hoch-)begabte Tüftler mit sozialen Schwierigkeiten, die neurotische Künstlerin, der (hoch-)begabte Autist, die blinde (Hoch-)begabte.

Typ-I/II/III-Aktivität

Typ-I: Durch fachspezifische und allgemeine Schnupperangebote werden Interessen und Stärken der Kinder geweckt und vertieft. Ziel ist das Erarbeiten eines Einzel- oder Gruppenprojekts zu diesem bestimmten Thema.

Typ-II: Durch die aktive Auseinandersetzung mit Lerntechniken, Methoden und Materialien sollen Fähigkeiten für kritisches und kreatives Denken sowie Problemlösen entwickelt werden, ebenso wie soziale und emotionale Kompetenzen  gefördert werden.

Typ-III: Durch das Entwickeln und Durchführen von eigenständigen Projekten sollen Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit erhalten, Hochleistungsverhalten zu zeigen. Dies bedeutet, dass sie sich mit Engagement, Kreativität und Fähigkeiten im Hinblick auf ein bestimmtes Problem/Thema einsetzen.
 
Renzulli, J. S., Reis, S. M. & Stedtnitz, U. (2001): Das schulische Enrichment-Modell SEM. Begabungsförderung ohne Elitebildung. Aarau: Bildung Sauerländer.

W

Wahlangebot

Beschreibt eine Unterrichtsform, bei der die Lernenden aus einem Angebot von mehreren Themen eines auswählen und sich damit intensiv auseinandersetzen können. Diese Angebote werden von Lehrpersonen, manchmal auch von zusätzlichen, schulexternen Personen durchgeführt und finden jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt und über eine definierte Zeitspanne statt.

Renzulli, J. S., Reis, S. M. & Stedtnitz, U. (2001): Das schulische Enrichment-Modell SEM. Begabungsförderung ohne Elitebildung. Aarau: Bildung Sauerländer.

Z

Zone nächster Entwicklung

Dem Prinzip der Anschlussfähigkeit an das individuelle Vorwissen und dem damit verbundenen konstruktivistischen Lernverständnis folgend, schliesst das Erlernen von Neuem jeweils an bisherige Kenntnisse (Präkonzepte) und die vorangegangene Lernbiografie an. Diese sogenannte zone of proximal development oder «Zone nächster Entwicklung» ist – je nach Bildungshintergrund und Vorerfahrungen – bei jedem und jeder Lernenden unterschiedlich. Die Lernpsychologie berücksichtigt dies einerseits durch das Erfassen des jeweiligen Vorwissens bei Lernenden, damit diese im nachfolgenden Lernprozess an ihr Vorwissen andocken können und andererseits durch differenzierende Lernarrangements und eine individualisierende Lernbegleitung und Leistungsbewertung.